
Rechts und extrem. Aber auch rechtsextrem genug für ein Verbot?
Seit der Gründung der AfD im Jahr 2013 wird über die Verortung der Partei gestritten. National- und wirtschaftsliberal, rechtspopulistisch, völkisch-autoritär, rechtsextrem? Die Diskussion ist nicht verwunderlich: Die Schwierigkeit, die AfD aus der Perspektive der Politik- und Parteienforschung eindeutig politisch zu charakterisieren, liegt bisher darin begründet, dass die Partei einerseits verschiedene politische Milieus und Strömungen abbildet und sich andererseits im Verlauf ihrer Entwicklung erheblich verändert und radikalisiert hat.
Die existenzielle Frage bleibt: Ist die Alternative für Deutschland eine Gefahr für die Demokratie?
Marco Wanderwitz (CDU) ist sich da sicher. Gemeinsam mit den Abgeordneten Carmen Wegge, Dr. Till Steffen, Martina Renner und Stefan Seidler gehört er zu den Hauptinitiator*innen eines überparteilichen Antrags auf Entscheidung des Deutschen Bundestages über die Einleitung eines Verfahrens zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der „Alternative für Deutschland“ gemäß Artikel 21 des Grundgesetzes. Gemeinsam mit mehr als 120 Abgeordneten haben sie den Antrag am 13. November 2024 im Bundestag eingereicht.
Ob die AfD verfassungswidrig ist oder nicht, entscheidet nicht der Bundestag, sondern das Bundesverfassungsgericht. So steht es in Art. 21 Abs. 4 Grundgesetz (GG). Die Hürden für ein Parteiverbot sind hoch. Es können nur solche Parteien als verfassungswidrig eingestuft und verboten werden, die „nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung (FDGO) zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden“.
Es liegt jedoch in den Händen des Bundestages, der Bundesregierung oder des Bundesrates, ob das Bundesverfassungsgericht ein Parteiverbotsverfahren prüft.
Die Hauptinitiator*innen sind überzeugt. Für sie stellt die AfD die größte Gefahr für die Demokratie dar. Sie betonen, dass schon einmal in Deutschland eine demokratisch gewählte Partei die Demokratie abgeschafft hat. Sie sind überzeugt, dass die AfD dieses Ziel ebenfalls verfolgt. Sie begründen dies damit, dass die AfD mit ihren Inhalten und Zielen gegen die Menschenwürde und das Demokratieprinzip verstößt.
Die AfD rechts, ihre Forderungen sind extrem und laut Verfassungsschutz ist die Partei ein rechtsextremer Verdachtsfall. Verbindlich kann nur das Bundesverfassungsgericht entscheiden, ob ein Verbot gerechtfertigt ist.
Den Abgeordneten im Bundestag kam mit dem Gruppenantrag jedoch eine große Verantwortung in der Frage zu, ob sie die Prüfung für sinnvoll halten. Offen für Vielfalt e.V. ist neugierig: Wie stehen die nordhessischen Abgeordneten zum einem Prüf-Antrag? Wer hat einen Antrag unterschrieben, wer nicht und warum? Wir haben die örtlichen Bundestagsabgeordneten angeschrieben und ihre Antwort veröffentlicht. Und wir hatten die einmalige Chance auch Bundeskanzler und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz persönlich zu seinem Standpunkt zu Fragen.
Redaktioneller Hinweis: Alle nordhessischen Mitglieder des Bundestags (demokratischer Parteien) erhielten eine schriftliche Anfrage über die Einleitung eines Verfahrens zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der AfD mit der Bitte um Begründung. Die schriftlichen Antworten werden hier in voller Länge veröffentlicht. Bundeskanzler Olaf Scholz wurde bei seinem Wahlkampfauftritt am 17. Februar im Cineplex Kassel gefragt, wie seine Haltung zum AfD-Verbotsverfahren ist. Seine Antwort wurde sprachlich geglättet.
Olaf Scholz (Bundeskanzler):
Die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern beobachten die AfD derzeit sehr genau. In einigen Bundesländern wird sie als eindeutig rechtsextrem eingestuft, in anderen nur als Beobachtungsfall. Gegen diese Einstufungen hat die AfD mehrfach geklagt, jedoch bislang immer verloren. Eine Klage ist noch anhängig, doch eine Entscheidung steht bevor. Im Anschluss könnte es zu einer weiteren Einstufung der AfD kommen, was weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen würde. Dieser Schritt steht nun kurz bevor.
Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass in solchen Fällen nicht die Innenministerin, wie in anderen Ländern, über ein Parteiverbot entscheiden kann. In Deutschland liegt diese Entscheidung beim Bundesverfassungsgericht. Das bedeutet, wann immer wir uns auf ein Verfahren einlassen, dauert es bis zu fünf Jahren bis entschieden wird. Daher halte ich es für entscheidend, dass ein solcher Schritt gut überlegt wird, da er mit erheblichen rechtlichen und politischen Konsequenzen verbunden ist. Und deshalb finde ich, ist es jetzt wichtig, die Beobachtungsmaßnahmen des Verfassungsschutzes fortzusetzen. Und was können wir und müssen wir jetzt gegenwärtig tun? Wir müssen uns als Bürgerinnen und Bürger nicht damit abfinden, dass solche Parteien stärker werden. Das sage ich bewusst nicht nur als Bundeskanzler, sondern auch als sozialdemokratischer Bundeskanzler. Die SPD ist im 19. Jahrhundert von Frauen und Männern gegründet worden, denen ging es schlecht. Die haben aber für die Demokratie und für die Freiheit gekämpft. Und sie haben nicht, weil sie schlechte Laune hatten, Hass über ihre Nachbarn verbreitet. Deshalb gibt es auch keine Rechtfertigung für das, was die AfD und die extreme Rechte machen. Sie spalten das Land. Das ist aber niemals eine Lösung.
Boris Mijatovic, MdB (Bündnis90/Die Grünen):
Ich unterstütze den Antrag zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der AfD und gehört zu den Erstunterzeichnern. Der Angriff auf die Demokratie und einzelne Gruppen von Menschen in unserem Land durch die AfD ist inakzeptabel. Die AfD steht nicht auf dem Boden des Grundgesetzes und führt zentrale Ideen unseres Staates von den Grundfreiheiten bis zu den Menschenrechten ins Absurde. Einzelne auch sehr prominente Mitglieder der AfD verachten unsere Demokratie und überziehen Menschen mit anderen Ansichten mit einer zutiefst menschenverachtenden Hetze. Nicht umsonst behalten unsere Sicherheitsbehörden die verfassungsfeindlichen Bestrebungen von AfD-nahen Personen im Blick und haben bislang schon mehrere AfD-Gliederungen und Landesverbände als gesichert rechtsextrem eingestuft. Das AfD-Prüfverfahren am Bundesverfassungsgericht kann klären, ob die Partei am Willensbildungsprozesse demokratischer Entscheidungen konstruktiv mitwirkt oder eben nicht. Ich bin der Meinung, wir müssen dieses Verfahren einleiten.
Michael Brand, MdB (CDU)
Ich werde diesem Antrag trotz der guten Intention der meisten Antragsteller nicht zustimmen. Ich halte das jetzt nur für den zweitbesten Weg. Seit Jahren und bis heute bin ich stattdessen mit vielen anderen energisch unterwegs, um den Leuten die Gefährlichkeit und auch die inhaltliche Inkompetenz der AfD zu erklären.
Ich halte das für den deutlich besseren und wirkungsvolleren Weg als jetzt – ohne breite Mehrheit im Bundestag und ohne die hinreichenden Unterlagen der Exekutive, die dem Parlament nicht vorliegen können – ein im Übrigen unsicheres Verbotsverfahren einzuleiten, von dem wir nicht wissen, wie das Bundesverfassungsgericht tatsächlich entscheiden wird.
Die Auseinandersetzung muss ohnehin auf dem politischen Feld erfolgreich gewonnen werden, und dazu müssen wir in einer Reihe von Themen die richtigen Fragen stellen und die richtigen Vorschläge zur Lösung von Problemen auf den Tisch legen und durchsetzen.
Awet Tesfaiesus, MdB (Bündnis90/Die Grünen)
Ich unterstütze den Antrag und habe diesen gemeinsam mit weiteren Kolleg*innen eingebracht. Die demokratische Ordnung und der Schutz der Grundwerte unserer Verfassung sind zentrale Aufgaben, die wir im Bundestag wahrnehmen müssen. Wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine Partei die freiheitlich-demokratische Grundordnung untergräbt, ist es unsere Pflicht, dies vom Bundesverfassungsgericht überprüfen zu lassen.
Ich bin davon überzeugt, dass die AfD in Teilen ihrer Programmatik und Rhetorik systematisch gegen die Grundwerte unserer Verfassung arbeitet. Insbesondere die Teile der Partei, die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft werden, verbreiten Positionen, die die Gleichwertigkeit aller Menschen infrage stellen, den offenen Umgang mit antidemokratischen Kräften fördern und Hass und Hetze schüren. Diese Tendenzen gefährden nicht nur den sozialen Frieden, sondern auch das Vertrauen in unsere demokratischen Institutionen.
Das Instrument des Parteiverbotsverfahrens wurde geschaffen, um in Situationen wie der jetzigen, in denen eine Partei potenziell gefährlich für die freiheitlich-demokratische Grundordnung ist, eingesetzt zu werden. Die AfD hat sich in den letzten Jahren weiter radikalisiert, was durch Beobachtungen und Bewertungen unterstrichen wird.
Die Einleitung eines Verfahrens bedeutet noch keine Vorverurteilung, sondern stellt sicher, dass eine unabhängige rechtliche Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht stattfindet. Dies ist ein notwendiger Schritt, um die Frage der Verfassungswidrigkeit zu klären und die Integrität unserer Demokratie zu schützen.
Esther Dilcher, MdB (SPD)
Mein Wunsch ist, dass eine rechtsextreme Partei verboten wird. Aber: Politischer Diskurs und gesellschaftliche Debatte müssen den Kern unseres demokratischen Handelns darstellen. Ich bin gespannt, ob der Verfassungsschutz die gesamte AfD als gesichert rechtsextrem einstuft. Bis dahin würde ich ein Verbotsverfahren gegen einen einzelnen Landesverband als ersten Schritt bevorzugen.
Der Spuk von Rechtsextremismus und Rassismus wird uns noch lange begleiten. Wir müssen uns weiterhin entschlossen – und vor allem gemeinsam – dagegenstellen. Mehrere Landesverbände, wie in Thüringen, und auch die bisherige Jugendorganisation der AfD werden vom Verfassungsschutz als erwiesen rechtsextrem eingestuft. Die Immunität vieler Abgeordneten der AfD – im Deutschen Bundestag wie in Landtagen – wurde aufgrund von Ersuchen der Staatsanwaltschaft für Ermittlungen aufgehoben. Fast täglich gibt es neue Grenzüberschreitungen in Wort und Tat.
Ein absolut unwürdiger Vorfall war der Tabubruch Ende Januar durch die Zusammenarbeit von CDU und AfD, so dass erstmals seit 1949 eine Mehrheit für einen Antrag im Deutschen Bundestag nur durch die extreme Rechte zustande kam.
Bettina Hoffmann, MdB (Bündnis90/Die Grünen):
Ich teile die Sorgen vieler Menschen in Bezug auf die AfD. Wir Grünen und alle demokratischen Fraktionen stehen klar zu Demokratie und Grundgesetz. Es ist erschreckend, wie die AfD immer offenere Zeichen ihrer Demokratieverachtung zeigt, z.B. bei der Thüringer Landtagssitzung Ende September. Auch die aktuellen Entwicklungen um die Migrationspläne der Union unterstreichen diese Dringlichkeit.
Neben dem Antrag von Marco Wanderwitz haben Renate Künast und andere Grüne Abgeordnete einen zweiten Antrag auf den Weg gebracht, der ebenfalls auf die verfassungsfeindlichen Bestrebungen der AfD abzielt. Beide Anträge wurden in den Bundestag eingebracht und sollen debattiert werden. Als Mitantragsstellerin des Antrags von Renate Künast kann ich Ihnen versichern, dass ich mich für ein Verbot der AfD einsetze und darum auch bei anderen Abgeordneten werbe.
Der Antrag um Renate Künast sieht vor, dass externes Material gesammelt und bewertet wird und der Bundestag nach Prüfung der Unterlagen eine Entscheidung trifft. Mit Blick auf die vorgezogenen Neuwahlen ist es besonders wichtig, dass dieser Prozess juristisch problemfrei abläuft. Meiner Meinung nach ist dies der rechtssicherere Weg und damit auch der erfolgversprechendere Weg.
Es ist gut, dass die Fraktionen hier gemeinsam handeln, denn wir müssen genau hinsehen: Die AfD ist keine Partei, die nur ein bisschen rechts steht. Sie sät Hass und fügt unserem Land und unserer Demokratie großen Schaden zu. Unser Grundgesetz ermöglicht die Prüfung von Parteien auf Verfassungswidrigkeit, wobei Bundestag, Bundesregierung oder Bundesrat das Verfahren einleiten und das Bundesverfassungsgericht letztlich entscheidet. Der Rechtsstaat hat starke Mittel in der Hand, er ist nicht hilflos, sondern wehrhaft zum rechten Zeitpunkt.
Unsere Demokratie wird von engagierten Bürger*innen getragen, die bei allen Meinungsunterschieden einen demokratischen Grundkonsens teilen und pflegen. Ich bin deswegen froh und dankbar, dass sich unzählige Menschen für unser Land, für die Menschenwürde und für eine demokratische Zukunft einsetzen.
Wie beschließt der Bundestag?
Nach monatelanger öffentlicher Diskussion um ein mögliches AfD-Parteiverbotsverfahren hat sich der Bundestag am Donnerstag, 30. Januar 2025, erstmalig mit zwei Gruppenanträgen befasst, die darauf abzielen, die Verfassungswidrigkeit der AfD durch das Bundesverfassungsgericht feststellen zu lassen. Das Plenum überwies die Anträge im Anschluss an die Aussprache an den federführenden Ausschuss für Inneres und Heimat. Mehr Informationen und Wortbeiträge der Bundestagsdebatte gibt es hier.